Sehr geehrter Herr Obermann, Herr Höttges und
Herr Welslau,
sehr geehrte Herren in den Vorstandsetagen
durch Ihre wiederholten Mitarbeiterbriefe verschiedenen (und letztlich doch
gleichen) Inhalts haben Sie mich zum Schreiben dieses Briefes motiviert.
Im Laufe dieses Briefes werde ich „sie – kleingeschrieben“ verwenden, weil ich
nicht immer Sie (persönlich) meine, sondern viele Manager, Vorstands- und
Aufsichtsratsmitglieder, die für unser Unternehmen verantwortlich sind und
waren.
Letzter Auslöser war ihre wiederholte Forderung, bei uns Mitarbeitern eine
größere Bindung zum Unternehmen zu erzeugen. Dazu kann ich ihnen nur erwidern,
dass ich und die meisten meiner Kollegen im kleinen Finger mehr
Unternehmensbindung haben, als ihre ganze Führungsriege zusammen. Ich werde
ihnen auch sagen warum.
Diese Telekom ist und war immer mein Leben. Ich habe mein Berufsleben hier
begonnen und wollte es auch hier beenden. Ich habe gesehen, wie aus der Post die
Telekom und aus Teilnehmern Kunden wurden, aber leider auch, wie aus unserer
Firma, in der jeder für jeden da war, ein Unternehmen geschaffen wurde, in dem
jeder nur noch an sich denkt (denken muss); wo jeder Unternehmensteil nur noch
versucht, den eigenen Bereich sauber zu halten und aus den anderen Teilen so
viel wie möglich abzuschöpfen, auch wenn dort viel größere Lücken gerissen
werden, als jemals wieder zu stopfen wären. Ich habe erlebt, wie aus uns
Mitarbeitern Humankapital wurde und wie wir alle nur noch als Kostenfaktoren
angesehen werden, von denen man sich – so schnell es nur geht – trennen muss und
will.
Sie und ihre Vorgänger jedoch geben sich im Vorstand die Klinke in die Hand; sie
kommen und gehen. Von Unternehmensbindung kann hier wohl kaum die Rede sein.
Sie kommen, strukturieren um, und das mit einer Arroganz und Selbstherrlichkeit,
ohne auf warnende Hinweise zu hören, dass sich so die Qualität und die
Zuverlässigkeit nicht mehr halten lassen kann, geschweige denn besser wird. Es
kümmert sich auch niemand von ihnen um die Folgen ihrer Entscheidungen. Sie
ziehen mit voll gestopften Taschen weiter, um im nächsten Unternehmen das
Gleiche zu tun und sie hinterlassen skrupellos einen immer größer werdenden
Scherbenhaufen.
Wenn wir, die wir immer gute, kompetente und hoch motivierte Arbeit geleistet
haben, immer die Wünsche der Kunden zu erfüllen wussten und wir lange Zeit das
mit Abstand beste Kommunikationsunternehmen waren und uns dann von ihnen sagen
lassen sollen, dass wir zu schlecht, zu teuer, nicht motiviert, faul und
unproduktiv seien, dann steigt ob dieser Unverschämtheit eine ungeahnte Wut in
uns auf.
Doch als wenn es ihnen nicht reicht, uns so zu beleidigen, verbreiten sie das
auch noch in aller Öffentlichkeit und fügen so unserem Ansehen und somit
natürlich auch unserem Aktienkurs einen immensen Schaden zu. Sie beschmutzen
rücksichtslos das eigene Nest, nur um kurzfristig ihre (oder wessen auch immer)
Abbau- und Auslagerungspläne durchsetzen zu können und von den Fehlern ihrer
Vorgänger abzulenken. Das ist eine Unglaublichkeit sondergleichen und ein
Vertrauensbruch, der durch nichts zu entschuldigen und wieder gut zu machen ist.
Sie vermissen Respekt in diesem Brief? Wem gebührt denn Respekt? Uns
Mitarbeitern, die wir uns unser Leben lang für die Telekom und unsere Kunden
engagiert haben, die wir immer und immer wieder unser Privatleben den Interessen
der Telekom und der Kunden untergeordnet haben und dies noch tun? Uns, die wir
die Telekom zum besten, kompetentesten, kundenfreundlichsten und
leistungsfähigsten Kommunikationsunternehmen gemacht haben?
Oder erwarten sie allen Ernstes Respekt dafür, was sie und ihre Vorgänger uns
und unserer Telekom angetan haben?
Sie und ihre Vorgänger haben uns im Laufe der letzten Jahre immer mehr Fesseln
angelegt, sie haben uns funktionierender Werkzeuge beraubt und uns blind
gemacht, indem sie uns Systeme aufgezwungen haben, die nicht die Arbeit
erleichtern, sondern nur die Kotrolle verbessern, dafür aber massiv die
Effektivität einschränken. Sie haben die interne und die externe Kommunikation
zerstört, indem sie funktionierende Rufnummern und Hotlines rigoros abgeschaltet
und durch nicht funktionierende Sammelnummern und unsinnige Überlaufkonzepte
ersetzten, und sie haben so die interne und externe Erreichbarkeit gegen Null
gefahren. Sie haben massiv Wissen, Kompetenz und Arbeitsplätze an Stellen
vernichtet, wo das alles unverzichtbar war, indem sie durch Umstrukturierung
hoch qualifizierte Mitarbeiter in gänzlich neue und unbekannte Arbeitsbereiche
oder nach Vivento versetzt haben oder sie zum Vorruhestand, zur Altersteilzeit
oder einer Abfindung „überredet“ haben.
Ihre Vorvorgänger haben (natürlich wieder entgegen aller Warnungen der
Fachleute) durch die Schließung hunderter T-Punkte und den Abbau tausender
qualifizierter Mitarbeiter diese kompetenten Schnittstellen zum Kunden
vernichtet und unsere Kunden so in Scharen in die Arme unserer Konkurrenz
getrieben und jetzt rühmen sie sich mit der Schaffung neuer T-Punkte und der
Einstellung von ein paar Hundert neuen Kräften, jetzt wo das Kind längst in den
Brunnen gefallen ist, wo wir viele Kunden längst verloren haben. Halten Sie uns
wirklich für so dumm, dass wir ihnen dafür Anerkennung zollen?
Es wurde weiter (mit der gewohnten Überheblichkeit und wieder gegen alle
Warnungen) an der Serviceannahme – der zweiten direkten Schnittstelle zum Kunden
– Personal in Größenordnungen abgebaut, sodass die Abfragewerte auf die
schlechtesten Werte sanken, die jemals zu verzeichnen waren. Die billige Lösung
war, unmotivierte und unwissende externe Kräfte mit keinerlei Firmenbindung (!)
an Stelle der vorher gründlich „entfernten“ Kollegen zu setzen und sich dann
über das immer größer werdende Chaos und immer unzufriedenere Kunden zu wundern.
Nun wollen sie mit dem Service auch noch die dritte direkte Schnittstelle zu
unseren, noch verbliebenen Kunden kastrieren, auch hier wieder massiv Personal
reduzieren und den Rest mit weniger Gehalt und längeren Arbeitszeiten zu
besserem Service motivieren.
Wo das hinführt, liegt wieder einmal auf der Hand, doch da in ihrer Etage
Entscheidungen grundsätzlich nie zurück genommen werden, selbst wenn man weiß,
dass man einen großen Fehler begeht, werden der Service und die
Leistungsfähigkeit ein weiteres Mal, mit dem schon schrottreifen Wagen gegen die
Wand gefahren. Auf die Einzelteile, die sie dann hinterlassen, warten schon die
Geier, die den dann noch verbliebenen Mitarbeitern den Todesstoß versetzen! Aber
das erleben sie sicherlich nicht mehr hautnah, da sie dann schon auf dem Weg zur
nächsten Firma sind ...
Sie ziehen immer wieder gerne das „marktübliche Lohnniveau“ als Vergleichsgröße
heran und vergleichen uns mit meist ungelernten Hilfskräften, mit Dilettanten,
die weder diesen Beruf gelernt haben, noch irgendeinen Bezug zur Telekom oder zu
unseren Kunden haben. Mit viel Glück sind das ehemalige Elektriker, uns sind
aber auch schon Rollrasenverleger (keine Lüge) und ähnliche „Spezialisten“ im
HVt begegnet.
Das ist, als wenn sie einen Mercedes besitzen möchten, bezüglich des Preises
aber einen Trabbi als Vergleich heranziehen und diesen auch nur bezahlen wollen.
Wir würden lieber heute als morgen die Telekom wieder an die Spitze bringen! Wir
wissen auch, wie es geht und was verändert werden muss! Wir sind für
Veränderungen, die den Service und die Kundenfreundlichkeit verbessern! Wir
wissen, was die Kunden wollen und wie wir es ihnen bieten können! Wenn sie es
ernst meinen mit der Forderung, wieder das beste Kommunikationsunternehmen zu
sein, reden sie mit uns! Ideen haben wir genug, Motivation auch! Wir kennen die
Kunden und die Firma und wir wissen, wo es knackt im Gebälk! Wir wissen auch, wo
viel zu viel Geld verschwendet wird, wo Personal falsch eingesetzt wird und
Wissen sinnlos verpufft oder Prozesse angepasst werden müssten! Nehmen sie uns
mit auf dem Weg zu einer besseren Telekom! Nutzen sie unsere Ideen, unser
Engagement, unsere Bereitschaft für Veränderungen und unsere Flexibilität!
So lange ihre Zielvorgaben für Führungskräfte auf Personalabbauzahlen,
Entstörindex und schnelle Abfragewerte aufsetzen und nicht auf Kunden- und
Mitarbeiterzufriedenheit, Generierung neuer Geschäftsfelder (z.B. TK goes IT)
und damit auf Steigerung der Einnahmen und Sicherung der Arbeitsplätze, so lange
wird es keinen wirklichen Fortschritt bei uns geben und keine Chance, am Markt
zu bestehen.
Ich bin mir jedoch (leider) ziemlich sicher, dass das gar nicht ihr Ziel ist,
dass alle ihre schönen Sprüche nur Worthülsen sind, um die Ausgliederung
vorantreiben zu können und dass sie für sinnvolle Vorschläge gar nicht offen
sind, da sie die nächsten und übernächsten Schritte schon in der Schublade haben
und auch, dass sie niemals einmal getroffene Entscheidungen überdenken oder gar
rückgängig machen wollen oder können.
Sie hören lieber auf externe Berater wie z.B. McKinsey, die nicht das geringste
Interesse an der Telekom haben und jeder Firma den gleichen Mix aus Zerteilung
und Personalabbau überstülpen und immer wieder frustrierte und arbeitslose
Mitarbeiter hinterlassen. Wenn das also so ist, dann haben sie wenigstens den
Mut, mit offenen Karten zu spielen. Verkaufen sie uns nicht weiter für dumm und
stehen wenigstens, so lange sie noch unsere Firma leiten, in der Öffentlichkeit
hinter uns Beschäftigten, und treten sie bitte nicht auch noch mit Füßen nach
uns.
Als Vorstand und Führungsmannschaft dieses Unternehmens haben sie nicht nur eine
Verantwortung gegenüber den Aktionären (der sie mit ihren angekündigten,
kontraproduktiven Maßnahmen auch nicht nachkommen) sondern auch eine soziale
Verantwortung uns Mitarbeitern gegenüber! Wir Mitarbeiter sind das Unternehmen!
Wir haben den Zustand der Telekom nicht zu verantworten. Uns darf man nicht
eiskalt in den beruflichen, sozialen und finanziellen Abgrund treiben, dass
verbietet das soziale Gewissen! Ich befürchte aber, dass dieser Appell bei ihnen
und erst recht bei McKinsey verhallt.
Wundern sie sich aber nicht, wenn sie, nachdem sie das immer schneller sinkende
Schiff Telekom – wie ihre Vorgänger sicherlich mit einer großzügigen Abfindung
für ihre hervorragenden Verdienste für die Telekom – verlassen haben, beim Blick
in den Spiegel eine Heuschrecke sehen.
Ich könnte noch lange so weiter schreiben, da mir noch viel am Herzen liegt,
doch ich möchte diesen Brief nicht mit bösen Worten beenden. Deshalb biete ich
ihnen zum Schluss noch einmal meine/unsere Unterstützung bei der Bewältigung der
vor uns liegenden Herausforderungen an. Nutzen sie unsere Kompetenz und unseren
Überlebenswillen, um uns am Mark wieder zu etablieren, wir haben daran ein
weitaus größeres Interesse als sie, da auf uns keine neuen Vorstands- oder
Aufsichtsratsposten, sondern Existenz bedrohende Niedriglöhne und/oder
Arbeitslosigkeit warten.
Lutz Paege
Deutsche Telekom AG, T-Com
TK Niederlassung Nordost
Kollege Paege erklärte sich mit der Nennung
seines Namens einverstanden