
Rechtliche Hinweise für Beschäftigte im Arbeitskampf
Wann sind Streiks zulässig?
Warnstreiks, zu denen ver.di aufruft sind nach Ablauf der Friedenspflicht
auch während noch laufender Tarifverhandlungen zulässig" (BAG v. 12.09.1984).
Die Friedenspflicht ist nach der Kündigung des Gehaltstarifvertrag abgelaufen.
Der Streik ist ein Grundrecht zur Durchsetzung unserer Forderungen (Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes).
Für die Rechtmäßigkeit eines Warnstreiks bzw. Tagesstreiks kommt es
nicht darauf an, dass mit dem Arbeitgeberverband bereits ein weiterer Verhandlungstermin
vereinbart wurde. Die Arbeitgeber haben bislang kein Angebot vorgelegt. Da
nach der Rechsprechung des Bundesarbeitgerichts die Tarifvertragsparteien,
sprich ver.di, selbst bestimmen, wann die Verhandlungen ausgeschöpft sind
(BAG v. 21.06.1988), ist es zulässig, zur Durchsetzung unserer Forderung
"Gehaltserhöhung ohne Vorbedingungen" zu befristeten Arbeitsniederlegungen
aufzurufen.
Welche Folgen hat ein Streik für das Arbeitsverhältnis?
Die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik stellt keine Verletzung des Arbeitsvertrages dar. Maßregelungen durch den Arbeitgeber wegen der Teilnahme an einem Streik sind verboten. Der bestreikte Arbeitgeber darf deshalb streikenden Arbeitnehmer/innen nicht kündigen.
Nach Ende des Streiks besteht ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
Während des Streiks ruht das Arbeitsverhältnis. Arbeitnehmer/innen brauchen
keine Arbeitsleistung zu erbringen. Ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht
für die Dauer des Streiks nicht. Mitglieder von ver.di erhalten Streikunterstützung.
Darf der Arbeitgeber Beschäftigte während des Streiks zu sog. "Notdienstarbeiten"
verpflichten?
In Arbeitskämpfen darf die Geschäftsleitung sog. "Notdienstarbeiten"
nicht einseitig organisieren und einzelne Arbeitnehmer hierauf verpflichten
(BAG v. 30.03.1982 - 1 AZR 265/80 und LAG Hannover v. 01.02.1980 - 2 Sa 110/79
sowie v. 22.10.1985 - 8 Sa 32/85). Die Regelung der Modalitäten eines arbeitskampfbedingten
Notdienstes ist - zumindest zunächst - gemeinsame Aufgabe des Arbeitgebers
und der streikfüh-renden Gewerkschaft (BAG v. 31.01.1995 - 1 AZR 142/94). Die Ablehnung direkter Streikarbeit ist keine unberechtigte Arbeitsverweigerung
(BAG v. 25.07.1957). Notdienstarbeiten dürfen im Übrigen nur zur Erhaltung
der Substanz des Eigentums, z.B. Rohstoffe, Produkte und Anlagen nicht jedoch
zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes verlangt werden (BAG v. 30.03.1982
- 1 AZR 265/80).
Welche Beschäftigten dürfen am gewerkschaftlichen Streik teilnehmen?
Alle Arbeitnehmer/innen eines Betriebes, der von ver.di zum Streik aufgerufen wird, sind streikberechtigt!
Dazu gehören leitende Angestellte ebenso wie AT-Angestellte. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfen auch Auszubildende
streiken (BAG vom 12.09.1984). Sie können auch an einer Urabstimmung teilnehmen.
Auch wenn Arbeitgeber immer wieder das Gegenteil behaupten, gilt nach BAG
-
auch für Auszubildende gilt das Grundrecht aus Artikel 9 Abs. 3 GG,
-
der Arbeitgeber kann nicht erwarten, dass sich die Auszubildenden bei Streiks unsolidarisch verhalten,
-
Ausbildungsbedingungen werden in Tarifverträgen geregelt, diese müssen notfalls erstreikt werden,
-
Streikbeteiligung gefährdet grundsätzlich nicht den Ausbildungszweck.
Auch wenn Arbeitgeber es gern anders hätten: Leiharbeitnehmer/innen müssen in einem bestreikten Betrieb nicht arbeiten! Das sieht das "Arbeitnehmerüberlassungsgesetz" ausdrücklich vor.
Dieses Gesetz gilt für alle Arbeitnehmer/innen, die von einer Arbeitnehmerverleih-Firma gewerbsmäßig anderen Unternehmen zur Arbeitsleistung überlassen werden.
§ 11 Absatz 5 dieses Gesetzes bestimmt unmissverständlich:
"Der Leiharbeitnehmer ist nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig
zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist.
In den Fällen des Arbeitskampfes nach Satz 1 hat der Verleiher den Leiharbeitnehmer
auf das Recht, die Arbeitsleistung zu verweigern, hinzuweisen."
Leiharbeitnehmer/innen haben deshalb im bestreikten Betrieb ein
Leistungsverweigerungsrecht!
Niemand ist verpflichtet, den im Betrieb streikenden Kolleginnen
und Kollegen in den Rücken zu fallen und sich als Streikbrecher/in missbrauchen
zu lassen.
Ein Nachteil kann Leiharbeitnehmer/innen, die von diesem gesetzlichen
Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen und die Arbeit nicht aufnehmen
oder einstellen, nicht entstehen: Der Arbeitgeber muss Lohn oder Gehalt weiter
zahlen! Oder für den Einsatz in einem anderen - nicht bestreikten - Betrieb
sorgen.
Auch beurlaubte Beamte dürfen sich am Arbeitskampf beteiligen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich klar gestellt, das ein gem.
§ 4 Abs. 3 PostPersRG beurlaubter Beamter bei seiner Beschäftigung bei einem
privatrechtlichen Unternehmen nicht dem Streikverbot unterliegt (BVerwG v.
7.6.00, Aktz. 1 D 4.99)
Auch Beschäftigte, die nicht bei ver.di Mitglied sind haben ebenfalls
ein Streikrecht, da ihnen das Ergebnis des Streiks im Ergebnis zugute kommt
(BAG v. 22.3.1994).
Darf der Arbeitgeber wegen des Streiks Überstunden anordnen?
Überstundenanordnungen aus Anlass der Teilnahme am Streik sind rechtswidrig
und unwirksam. Sie bedürften im Übrigen der vorherigen Zustimmung des Betriebsrates
gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 3 Betriebsverfassungsgesetz (Personalräte analog).
Eine Verpflichtung zur Nacharbeit der durch den Streik ausgefallenen Arbeitsstunden
besteht nicht. Die Beteiligungsrechte des Betriebs-/Personalrats gelten grundsätzlich
auch während des Streiks.
Zusammenfassend ist folgendes festzuhalten:
Der Streik ist ein Grundrecht (Art. 9 Abs. 3 GG) und das rechtmäßige Mittel zur Durchsetzung der Tarifforderung.
Maßregelungen
durch den Arbeitgeber wegen der Teilnahme am Streik
sind verboten. Lassen Sie sich durch gegenteilige Behauptungen der Arbeitgeber
und ihrer Vertreter nicht verunsichern. Sie wollen nur davon abhalten, das
Recht in Anspruch zu nehmen. ver.di Mitglieder erhalten nach Maßgabe der
Satzung Rechtsschutz. Damit nach einem Streik wieder Ruhe in den Betrieb
einkehrt, vereinbaren die Tarifvertragsparteien häufig mit dem Tarifvertrag
eine sog. Maßregelungsklausel, in der sich die Arbeitgeber verpflichten,
keine Sanktionen gegen Beschäftigte, die sich am Streik beteiligt haben auszusprechen.
Kein Mensch ist zum Streikbruch bzw. direkter Streikarbeit verpflichtet. Diese Arbeit kann nach ständiger Rechtsprechung des BAG verweigert werden (Urteil vom 10.09.1985 - 1 AZR 262/84). Die Ablehnung direkter Streikarbeit ist keine unberechtigte Arbeitsverweigerung.
Eine berechtigte Verweigerung von Streikarbeit führt nicht zum Verlust des
Arbeitsentgeltanspruchs, zumindest nicht, wenn die eigentlich geschuldete
Arbeitsleistung trotz des Streiks erbracht werden kann.
Überstundenanordnungen
aus Anlass der Teilnahme am Streik sind
rechtswidrig und unwirksam. Eine Verpflichtung zur Nacharbeit der durch den
Streik ausgefallenen Arbeitsstunden besteht nicht. Insoweit erforderliche
Überstunden bedürfen im übrigen der vorherigen Zustimmung des Betriebsrates
gem. § 87 BetrVG.
Wirksamkeit und Erfolg des Streiks hängen vom persönlichen Einsatz jedes
Arbeitnehmers ab. Über Ende bzw. Unterbrechung des Streiks entscheidet die
Streikleitung.
Darf der Arbeitgeber arbeitskampfbedingte Ausfallzeiten vom Gleitzeitkonto
abbuchen?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Urteil vom 30.8.94, AZ. 1 AZR 765/93 entschieden, dass arbeitskampfbedingte Ausfallzeiten grundsätzlich nicht zu einer Belastung des Gleitzeitkontos, sondern nur zu einer Minderung des Arbeitsentgelts
führen (veröffentlicht in AP 131 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art 9 GG,
Nr. 114). In dem Betrieb bestand eine Betriebsvereinbarung zur Gleitarbeitszeit
(GLAZ), die keine Regelungen zum Umgang mit dem GLAZ-Guthaben für den Fall
eines Arbeitskampfes enthielt. Der Arbeitgeber hat die Zeiten, in denen der
Beschäftigte an einem Warnstreik teilgenommen hatte, von dessen Arbeitszeitguthaben
abgezogen. Hiergegen richtete sich die Klage mit Erfolg.
Zur Begründung führte das BAG folgendes an: Nach der ständigen Rechtssprechung
des Großen Senats des BAG werden durch die Teilnahme an einem rechtmäßigen
Arbeitskampf die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert. Ein
Arbeitnehmer, der am Streik teilnimmt, ist bereits aufgrund seiner Streikteilnahme
nicht mehr zu Arbeitsleistung verplichtet und verliert auf der anderen Seite
den Anspruch auf das Entgelt für die Zeit der Streikteilnahme. Daraus folgt
eine Verminderung des geschuldeten Arbeitszeitvolumens. Dies ergibt sich
als Rechtsfolge aus der Streikbeteiligung.
Die Zeiten, während deren die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers wegen der
Streikmaßnahme suspendiert ist, dürfen daher nicht zur Ermittlung des geschuldeten Arbeitszeitvolumens
herangezogen werden. Da insoweit kein Arbeits- "Soll" bestand, können diese
Zeiten auch nicht Teil der monatlichen Soll-Stundenzahl sein, auf der die
Ermittlung des Gleitzeitkontos aufbaut. Das BAG hat in dieser Entscheidung
offen gelassen, ob diese Frage anders zu beurteilen ist, wenn die Betriebsvereinbarung
eine Regelung zu Zeiten während des Arbeitkampfes enhält.
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